Samstag, 11. Mai 2019

An der Tankstelle der Zugvögel – zu Besuch am Klingnauer Stausee

Für einmal führte uns eine Exkursion ganz weit weg, nämlich an den Klingnauer Stausee im Kanton Aargau. In dieser Oase aus Schilf, Flachwasserzonen, Schlick, Auenwald rasten im Frühling und im Herbst viele verschiedene Zugvögel aus Nordeuropa, Osteuropa und Russland auf ihrer Reise zwischen ihren Brutgebieten und ihren Überwinterungsgebieten in Afrika.
Mit dem Zug reisen wir via Winterthur, Zürich und Baden nach Döttingen und nutzen die Zugfahrt für eine erste Aufgabe: Jede/r zieht eine Karte und muss herausfinden, welcher Vogel auf der anderen Seite abgebildet ist. Zusätzlich soll man nachschlagen, wo die Vögel brüten und wo sie sind, wenn bei uns Winter ist.

In Döttingen malen wir zuerst mit Straßenkreide die Umrisse von Europa und Afrika auf den Boden und versuchen dann, "unsere" Vögel von den Karten dort hinzulegen, wo sie brüten. Einige Arten sind Standvögel, das heißt, sie sind das ganze Jahr über bei uns. Von unseren Kartenvögeln zählen Kohlmeise und Waldkauz dazu. Andere Vögel finden im Winter bei uns und in Nord- und Osteuropa keine Nahrung, weswegen sie die kalte Jahreszeit im Süden verbringen. Diese Vögel nennt man Zugvögel. Die Zugvögel kann man weiter danach unterteilen, ob sie südlich der Sahara überwintern (so genannte Langstreckenzieher, z.B. der Mauersegler), oder ob sie nur in den Mittelmeerraum fliegen (so genannte Kurzstreckenzieher, z.B. der Hausrotschwanz). Gemeinsam überlegen wir uns, welche Vorteile und Nachteile es haben kann, ein Zugvogel zu sein. Zu den Nachteilen gehören ganz sicher die vielen Gefahren, die unterwegs lauern: hungrige Greifvögel, tödliche Windkraftanlagen, Meere und Wüsten, wo man keine Nahrung findet, Jäger, schlechtes Wetter, hohe Gebirge und das Licht der Städte, dass die Vögel verwirrt. Es ist nicht leicht, ein Zugvogel zu sein! Trotzdem meistern alljährlich Millionen von Zugvögeln, erfolgreich zwischen den Kontinenten hin und her zu pendeln.

Ein besonders weitgereister Zugvogel ist der Mauersegler, der uns mit seinen Flugspielen begrüßt, ehe wir uns Richtung Stausee aufmachen. An der Aare sehen wir Gänsesäger und Reiherenten. An einem kleinen Bachlauf landet ein Eisvogel, den viele von uns wunderschön im Fernrohr beobachten können. Ganz in der Nähe entdecken wir eine Familie Stockenten mit sieben Jungen. Wir wandern einem leicht verwaldetem Schilfgebiet entlang und hören Mönchs- und Gartengrasmücke, einzelne Strophen der Nachtigall und den geschwätzigen Gesang des Teichrohrsängers. Nach diesen ersten Eindrücken sind wir hungrig und legen eine spontane, aber sehr ordentliche Znünipause am Weg ein:


Auf dem Acker ennet dem Bach wuseln die gelben Schafstelzen umher und verraten mit ihren dunkelblauen Köpfchen und gelben Kehlen, dass sie aus Skandinavien kommen. Wir wünschen ihnen viel Glück für die Weiterreise und gehen weiter. Bald weitet sich der Fluss und der Blick auf die Flachwasserzone des Klingnauer Stausees wird frei. Ein Rohrschwirl singt sein monotones Lied. Einzelne Schnatterenten, je ein Pärchen Krick- und Kolbenenten suchen gründelnd nach Nahrung oder ruhen sich aus. In der Ferne erkennen wir zwei Silberreiher.  Wir gelangen zu einem Beobachtungsturm, von wo aus wir zwar eine fantastische Aussicht auf die Region Klingnau haben, außer vielen Rauch-, Mehl- und einigen Uferschwalben aber nicht viel sehen. 


Zudem bläst der Wind so stark, dass wir im Restaurant Oase Zuflucht suchen müssen, das zugleich ein Reiterhof ist. Wir essen zu Mittag und können vom Mittagstisch einem Pferd beim Longieren zusehen.

Nachdem alle etwas Kleines "gchrömlet" haben, begeben wir uns wieder nach draußen. Auf den Zäunen und Pfählen rund um den Reiterhof rastet ein Pärchen Neuntöter, das sich wunderbar beobachten lässt. Wir sehen alle Merkmale des aparten Männchens mit der schwarzen Maske, der blaugrauen Kappe und der warmbraunen Oberseite und seines schlichteren Weibchens.

Zurück am Stausee suchen wir die Schlickflächen ab. Hier rasten, wie oft zu dieser Jahreszeit, so genannte Watvögel. Das sind kleine bis mittelgroße Wasservögel, die im Schlamm oder auf anderen Flächen im Übergangsgebiet zwischen Land und Wasser nach Nahrung stochern oder picken. Wir entdecken sieben Grünschenkel, drei Rotschenkel und als Besonderheit einen hübschen Alpenstrandläufer


Plötzlich zieht aber etwas Anderes unsere Aufmerksamkeit auf sich: Ein Fuchs watet im Wasser herum und stellt etwas ungeschickt den Stockenten nach. Diese fliegen aber nicht davon, sondern scheinen den Fuchs richtiggehend zu "zöikeln". Wahrscheinlich versuchen sie damit, ihn von den Entenjungen, die in der Nähe schwimmen, abzulenken. Wir verfolgen das Geschehen ganz aufgeregt und sind beeindruckt, wie mutig – oder blöd, wie man es auch sehen will – die Enten sind! Als wir weitergehen wollen, entdeckt Thierry plötzlich ein knapp hühnergroßes Ei, das wir nach einiger Recherche als Teichhuhnei bestimmen (ganz sicher sind wir uns aber nicht):

 
Wie das Ei abseits des Nestes landen konnte, bleibt uns ein Rätsel... Auf einem Feldweg spielen wir "Wahr oder falsch?": Zwei Gruppen stehen sich gegenüber, die Fitisse und die Sperber. Wenn eine Aussage von Annina oder Patrick richtig ist, jagen die Sperber die Fitisse (wie es im echten, wahren Leben ist) – ist sie falsch, müssen die Fitisse die Sperber zu erwischen versuchen. Zwischendurch fliegt ein Weißstorch über den Stausee; leider verpassen ihn die meisten. 


Ausgetobt wandern wir seeabwärts Richtung Stauwehr. Aus dem Schilf hören wir den lauten Drosselrohrsänger, einen weiteren Rohrschwirl und beobachten auf dem See eine hübsche Brandgans und die Lachmöwen mit ihren schokobraunen Köpfen. Bald erreichen wir das Wehr und sehen und hören die Fluten, die tosend in die Tiefe stürzen. Ganz in der Nähe wird die Aare in den Rhein fließen. 

Der letzte Teil der Wanderung führt uns zum Bahnhof Koblenz, wo wir den Zug heimwärts besteigen. Wir sind vom Wind, den vielen Eindrücken und der langen Wanderung so müde, dass einige von uns im gemütlichen Zugabteil mit dem Schlaf kämpfen. Zu Ende geht ein wunderschöner Exkursionstag mit vielen schönen Zugvögeln und einer begeisterten Beobachterschar. Annina Bürgi danken wir an dieser Stelle vielmals für ihren spontanen Leitereinsatz!